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Gipsmoulagen  

1997 setzte sich Anna-Maria Lebon intensiv mit dem Leben ihrer verstorbenen Mutter auseinander. Es blieb neben all den Erinnerungen an die Jugend vor allem ein intensives körperliches Gefühl haften für die weiche Wölbung des Bauches. Wie wenn die Bewegung des Lebens sich auf diesen schwer fassbaren Punkt zurückgezogen hätte. Anna-Maria Lebon ging diesem Thema nach, fertigte Bauchmasken von Frauen verschiedenen Alters an und arbeitete damit. Sie goss die Bauchschalen mit verschiedenen Materialien aus: mit Gips, mit Wachs, und strich sie auch mit dem Pinsel in Form einer dünnen Wachshaut aus.

Die Beschäftigung mit dem Bauch, mit den Gipsabdrücken davon, mündete in eine intensive Beschäftigung mit Gipsbandagen und flüssigem Gips während eines drei- monatigen Atelieraufenthaltes in einem alten Fabrikraum im Jura: im Espace d'Art in Undervelier in der Gorge du Pichoux. Die Arbeit konzentrierte sich erst auf das Erfassen des Raums durch Gipsabdrücke von Raumteilen. Immer mehr wurden die Gesten beim Abtasten des Raumes bedeutungsvoll, das Erfahren der Ecken und Oberflächen durch das Nachstreichen mit dem Gips. Die Gesten verselbständigten sich, lösten sich vom vorgegebenen Raum, griffen in den freien Raum. Anna-Maria Lebon experimentierte mit Gesten, die mit Erinnerungen an das Leben der Mutter verknüpft waren: Falten, Glattstreichen, Zudecken, Umwickeln. Und dann auch wieder aggressivere Gesten: Zusammenpressen, an die Wand Werfen, in die Ecke Drücken.

Text: Ester Adeyemi zur Ausstellung in der Fachbereichsbibliothek der Universität Bern, 1997